Auf dem Weg zur Uni, traf mich ein dunkler, überwältigender Gedanke: Meine Frau Christy und unsere vier Kinder wären ohne mich besser dran. Tränen begannen mir über die Wangen zu laufen. Wie konnte es so weit kommen?
Dunkelheit hinter der schönen Fassade
Von aussen sah alles perfekt aus – wie eine Bilderbuchfamilie. Eine stabile Ehe, Vater von vier kostbaren Kindern, Englischdozent an einer Universität in Ostasien und Leiter eines Missionsteams. Menschen kamen zum Glauben, viele sahen in mir ein geistliches Vorbild.
Doch hinter dieser Fassade wuchs in mir seit sechs Jahren ein tiefer Riss. Während meines intensiven und stressigen Masterstudiums fing ich an, ab und zu Pornos anzuschauen. Es fühlte sich an wie ein Medikament – betäubend, beruhigend. Jedes Mal versprach ich mir: «Dies war das letzte Mal.» Doch bald fiel ich wieder hinein und jedes Mal überrollte mich eine Welle von Scham.
Christy und ich lebten eine authentische und vertrauensvolle Beziehung – auch in unserer Nähe zueinander. Und doch blieb mein Kampf mit Pornografie unaussprechbar. Lähmende Scham und die Angst, sie könnte mich nicht verstehen – oder mich ablehnen – hielten mich zurück, selbst in einer Männergruppe konnte ich nie ganz ehrlich werden.
In tiefsten Abgründen
Mein Leben war wie ein Haus: Viele Räume standen offen, doch ein paar Türen blieben verschlossen – selbst für Christy. Dahinter lag meine grösste Angst, jemand würde meine verborgenen Kämpfe entdecken und mich ablehnen. Erst Jahre später verstand ich: Nur dort, wo ich bereit bin, verletzlich zu sein und jemanden hereinzulassen, kann echte Liebe wachsen.
Doch damals versuchte ich, die verschlossenen Türen zu rechtfertigen. Ich redete mir ein, es sei nicht so schlimm; viele Christen kämpften doch damit. Ich war überzeugt, alles unter Kontrolle zu haben. Doch was wie ein kleines Monster begann, hatte mich mit der Zeit immer mehr im Griff und begann mich innerlich auszuhöhlen. Mein Blick auf Frauen verzerrte sich: Ich reduzierte sie zu Objekten meiner Lust. Schritt für Schritt funktionierte ich zunehmend wie ein Roboter, abgeschnitten von meinen Emotionen. Ich wurde härter und kälter, war nicht mehr richtig präsent – besonders als Ehemann und Vater.
Immer wieder rang ich verzweifelt nach Befreiung, las in der Bibel und flehte Gott an. Ich griff auch zu Büchern, Software, guten Vorsätzen und eiserner Willenskraft. Doch je mehr ich kämpfte, desto tiefer versank ich im Sumpf und überschritt Grenzen, die ich zuvor für undenkbar hielt. Was anfänglich glänzend und verlockend schien, erwies sich nun als Gift, das meine Seele zerfrass und mir alles zu rauben drohte: meine Ehe, meine Familie, mein Leben.
Ein unerwarteter Lichtblick
Als Gott fern und schweigend schien, kam auf unerwartete Weise Licht in die Dunkelheit. Christy und ich waren in einer Leiterausbildung zum Thema «Gottes Stimme hören». Nach einer kurzen Lehre gab der Leiter Eindrücke weiter. Als er mich ansah, liefen ihm Tränen übers Gesicht. Mit väterlicher Zärtlichkeit sagte er, er sehe das Bild vom verlorenen Sohn und wie ihm der Vater mit offenen Armen entgegenrennt.
Ich war fassungslos: Gott sah mich in meinem dunkelsten Moment – und statt mich als strenger Richter zurückzuweisen, begegnete er mir mit unerschütterlicher, väterlicher Liebe.
Freiheit geschenkt
Etwa ein Jahr später geschah das grösste Wunder, das ich je erlebt habe. Bei einer Gebetszeit im Leiterschaftstraining proklamierten zwei Beterinnen, dass einige Freiheit erleben würden. Und während ich – wie viele Male zuvor – zu Gott um Freiheit schrie, durchbrach er in einem Augenblick die Ketten. Es fühlte sich an, als ob mich etwas Unsichtbares verliess. Tief in meinem Innersten wusste ich: Jetzt bin ich frei!
Ich erlebte eine Freiheit, von der ich nicht einmal wusste, dass es sie gibt – eine Freiheit, die blieb. Die Lust auf Pornografie war verschwunden, und ich konnte Frauen plötzlich mit neuen Augen sehen – als geliebte Töchter Gottes. Gleichzeitig wuchs in mir eine tiefe Sehnsucht nach Gottes Gegenwart, so stark, dass ich manchmal nachts aufstand, um zu beten.
Endlich im Licht
Einige Jahre später sprach der Heilige Geist zu mir: «Teile es mit Christy!» Warum sollte ich etwas, von dem ich längst frei war, ans Licht bringen und meiner Frau damit tiefe Schmerzen zufügen und unsere Ehe und Familie aufs Spiel setzen? Über mehrere Tage hinweg folgte eine intensive Zeit des Ringens.
Schliesslich wagte ich, Christy alles zu bekennen – ohne Rechtfertigung. Der Schock war gross, und sie leiden zu sehen, zerbrach mir das Herz. Meine Sünden hatten eine schwere Wunde in ihrem Herzen hinterlassen – eine Wunde, die ich ihr nicht nehmen konnte. Es begann eine Zeit voller Tränen und Schmerz, besonders für Christy, die um das trauerte, was sie für wahr gehalten hatte.
In dieser schweren Zeit hätte Christy mich verlassen können. Doch sie entschied sich für den Weg der Vergebung. Noch nie zuvor hatte ich von einem Menschen solche Gnade empfangen. Wo ich Ablehnung fürchtete, erlebte ich Annahme. Und gerade darin erfuhr ich eine tiefere Heilung: vollkommen gekannt zu sein, ohne Geheimnisse und dennoch zutiefst geliebt.
Aus Scherben neu gebaut
Vergebung geschah, doch Vertrauen musste wieder aufgebaut werden. Es war ein langer Weg mit persönlicher und gemeinsamer Seelsorge, Gesprächen mit dem Missionsleiter, hilfreichen Podcasts, Gebet und Tränen. Vor allem aber viel Zeit miteinander, geprägt von Ehrlichkeit und Offenheit. Doch dieser Weg lohnte sich.
Ich hätte mir niemals vorstellen können, dass Gott aus einem Scherbenhaufen etwas so Wunderschönes machen kann. Heute leben wir eine Ehe, die tiefer und inniger ist, als ich je für möglich gehalten hätte – ein Haus ohne verschlossene Türen. Nach unserem Schmerz und der erlebten Heilung ist in uns eine Leidenschaft gewachsen, anderen Paaren zu helfen, damit sie ins Licht kommen und Heilung und Freiheit finden.
Bericht in der Oktober-Ausgabe vom wort-wärch erschienen. | Text: Tobias Zurbuchen, Pfarrer EGW Langenthal | Bilder: zVg