Kaum beachtet: Unvorstellbares Leid im Sudan

Mittwoch, 3. Dezember 2025

Übereinstimmend wird sie als grösste humanitäre Krise unserer Zeit bezeichnet – Einzelne beschreiben sie sogar als grösste jemals dokumentierte Krise. Im Sudan sind 30 Millionen Menschen extremem Leid ausgesetzt. In unserer Gesellschaft wird dies aber nur am Rand wahrgenommen. Fürs wort+wärch erzählt Tahani Ampellio von ihrem persönlichen Erleben der Krise und auf der folgenden Seite berichtet die Organisation CSI von ihrem konkreten Einsatz im Sudan.

Tahani Ampellio lebt in Bern und ist Mitglied im EGW Riedbach – zusammen mit Ehemann Nicola, der dort Pfarrer ist, und der gemeinsamen Tochter Solea. Welche Beziehung Tahani zum Sudan hat, erzählt sie im Interview.

wort+wärch: Wie bist du mit dem Sudan verbunden?
Tahani Ampellio: Mein Vater ist Sudanese aus einem Dorf in der Nähe von Khartum, der Hauptstadt. Mit etwa dreissig kam er in die Schweiz und kehrte vor vier Jahren wieder in den Sudan zurück. Ich habe dort eine grosse Familie – Grosseltern, Tanten, Onkel und viele Cousinen und Cousins.
 

Als 2023 der Krieg im Sudan ausbrach, lebte dein Vater im Kriegsgebiet. Wie hast du diese Zeit erlebt?
Diese Zeit war sehr schlimm. Mein Vater blieb lange im Sudan, während alle ausländischen Personen schon zurückgekehrt waren. Er wollte bei seiner Familie bleiben, doch es wurde immer gefährlicher. Schliesslich entschied er sich, mit seiner Frau und den drei kleinen Kindern zu fliehen. Während der Flucht hatten wir immer wieder Kontakt, ich hatte grosse Angst um ihn. Überall warteten Rebellen, und es war unklar, ob die Rückkehr möglich sein würde. Ich war Gott dankbar, dass die Ausreise gelang. Heute lebt er wieder in der Schweiz.

Was macht dich an der Krise besonders betroffen?
Es sind meine Verwandten, die diesen Krieg erleben müssen. Krieg, etwas, das ich vorher nur aus den Nachrichten kannte, wird plötzlich persönlich. Ich hörte von Morden, Folter, Vergewaltigungen und wusste, dass meine Familie in grosser Angst lebt. Gleichzeitig macht es mich sehr betroffen, dass man fast nichts über den Krieg hört, obwohl es zurzeit die grösste humanitäre Krise weltweit ist. Es ist schmerzhaft, wenn so viel Aufmerksamkeit anderen Konflikten gewidmet wird und so viele Ressourcen fliessen, zum Beispiel in die Unterstützung ukrainischer Flüchtlinge – was ja wunderbar ist – aber aus afrikanischen Ländern gibt es seit Jahren Geflüchtete und es wurde längst nicht so viel Unterstützung geleistet.

Welche Möglichkeiten siehst du, wie wir auf die Situation reagieren können?
Wenn man über Konflikte auf dieser Welt spricht, sollte man sich bewusst darüber sein, dass auch andere Konflikte existieren, neben dem Ukraine-Krieg und Israel-Palästina, und sich darüber informieren. Ausserdem finde ich, dass die Menschen, die in der Schweiz leben, aus dem Sudan und auch aus anderen afrikanischen Ländern mit jahrelangen Konflikten, über die man wenig hört, die gleiche persönliche Aufmerksamkeit und Zuwendung erhalten sollten, die man beispielsweise den Ukraine-Geflüchteten gegeben hat. Diesen Menschen auf Augenhöhe begegnen und zuhören könnte ein Anfang sein.

Bericht in der Dezember-Ausgabe vom wort-wärch erschienen. | Bericht: Markus Richner-Mai, Redaktion | Bild: Tahani mit ihrem Vater (zVg)

«Wir hören erst auf, wenn der letzte Sklave frei ist.»

Seit drei Jahrzehnten befreit die Menschenrechtsorganisation Christian Solidarity International (CSI) Sklaven im Sudan und führt sie zurück in ihre Heimat, den Südsudan. Bereits über 160‘000 Menschen erhielten ihre Freiheit zurück – und es werden stetig mehr.

Die Unterjochung gehörte zur Kriegstaktik: Während des verheerenden Bürgerkriegs im Sudan (1983-2005) verschleppten regierungstreue islamistische Milizen zehntausende Christen und Anhänger traditioneller Religionen in den Norden, wo sie versklavt und zwangsislamisiert wurden.

1995 begann CSI in Zusammenarbeit mit einem lokalen Untergrundnetzwerk, die ersten Sklaven zu befreien und in den Südsudan zurückzuführen. Dreissig Jahre später dauern die Befreiungsaktionen noch immer an. CSI-Gründer Pfarrer Hansjürg Stückelberger versprach einst: «Wir werden erst aufhören, wenn der letzte Sklave frei ist.»

Erschütternde Berichte

Die Berichte der Befreiten erschüttern. Alek Akol Malual wurde in die Sklaverei geboren. «Mein Gebieter zwang mich zum Islam, verprügelte und vergewaltigte mich mehrfach. Gegen meinen Willen wurde ich an den Genitalien beschnitten», erzählt sie mit stockender Stimme. Dank eines von CSI beauftragten Befreiers fand sie schliesslich den Weg in die Freiheit.

Auch Ater Dau Angong überlebte Jahre voller Leid: «Ich musste schwere Haus- und Feldarbeit leisten, schlief auf dem Boden und bekam kaum etwas zu essen. Eines Tages nahm man mir meine Tochter weg.» Auf dem Markt begegnete sie einem Sklavenbefreier von CSI; es war der Beginn ihres neuen Lebens.

400 Franken für die Freiheit eines Menschen

CSI-Geschäftsführer Simon Brechbühl, der Ater im Südsudan traf, erinnert sich. «Als Vater von vier Töchtern stockte mir der Atem, als Ater mir ihre Geschichte erzählte.» Die Sklaven werden nicht gegen Geld freigelassen, sondern in der Regel gegen Impfstoffe für Tiere, wie sie bei den Viehzüchtern und Sklavenhaltern in jener Gegend begehrt sind. So kostet die Befreiung eines Sklaven inklusive Rückreise, Medizincheck, Startsack, Saatgut und Ziege 400 bis 500 Franken.

Ein neuer Anfang in Freiheit

CSI unterstützt jede befreite Person beim Neuanfang: mit Lebensmitteln, Saatgut, Kochutensilien, Werkzeug und einer Milchziege. Die Dorfgemeinschaften im Südsudan nehmen die Rückkehrer herzlich auf und helfen ihnen, auch mit Unterstützung ein neues Leben zu beginnen.

«Endlich kann ich in Freiheit und Würde leben. Ich danke Gott und allen, die für mich gespendet haben, damit ich freikomme», sagt Alek dankbar. Sie möchte nun Gemüse anbauen und Ziegen züchten.

Hilfe für Kriegsflüchtlinge

Neben den Sklavenbefreiungen engagiert sich CSI auch für Kriegsflüchtlinge in den sudanesischen Provinzen Blauer Nil und Nuba-Berge, wo tausende Menschen vor den anhaltenden Kämpfen Zuflucht suchen. Die Situation in den Lagern ist prekär – CSI verteilt dort Hirse, Moskitonetze und Decken, um das Überleben der Menschen zu sichern.

Bericht in der Dezember-Ausgabe vom wort-wärch erschienen. | Bericht und Bilder: CSI - Schweiz | www.csi-schweiz.ch

Weitere Informatonen zur Sklavenbefreiung von CSI: www.csi-schweiz.ch/news/suedsudan-30-jahre-sklavenbefreiung