Kennst du folgendes Szenario? Du sitzt im Zug und alle haben ihr Handy in der Hand und Kopfhörer in den Ohren. Oder bist du schon mal auf der Strasse angerempelt worden, weil der Blick des entgegenkommenden Menschen aufs Handy und nicht auf den Gehweg gerichtet war?
Mir fällt dies immer mehr auf, aber ich muss eingestehen, dass ich selbst genau gleich bin. Ohne Musik oder einen Podcast auf den Ohren aus dem Haus zu gehen, erscheint mir komisch. Wenn ich die Kopfhörer zuhause vergesse, fühle ich mich den ganzen Tag irgendwie unwohl. Ich klage über zu wenig Schlaf, aber hänge dennoch jeden Abend teilweise stundenlang am Handy. Und für mich eigentlich am schlimmsten: Meine Bildschirmzeit überwiegt bei weitem die Zeit, die ich mit Gott verbringe.
Vor kurzem las ich das Buch «Wer zu viel hat, kommt zu kurz» (2010) von Archibald Hart. Hart schreibt, dass wir Menschen in der heutigen, mobilen und schnellen Welt einfacher denn je der Überstimulation verfallen, die aufgrund der Dopaminausschüttung süchtig machen kann und schlussendlich zu Anhedonie führt. Unter Anhedonie wird der Verlust von Freude verstanden. Das kann zum Beispiel der Verlust der Freude an kleinen Dingen im Leben sein, im Extremfall wird aber gar keine Freude mehr empfunden.
Wir tendieren als Menschen dazu, Dinge, die uns Freude bereiten, immer mehr und exzessiver zu tun. Aus dem Vorhaben, eine Folge der Lieblingsserie auf Netflix zu schauen, werden zehn Folgen. Aus 15 Minuten Unterhaltung durch wahlloses scrollen auf Instagram werden zwei Stunden. Und wenn wir ganz ehrlich sind: Je länger wir dies tun, desto weniger Freude empfinden wir daran. Aber aufzuhören wäre ja auch keine Option, denn dann würde ja die ganze Stimulation einfach wegfallen und man müsste sich selbst kreativ beschäftigen, wozu man oft gar nicht mehr fähig ist.
Vor einiger Zeit sah ich mir die vierte Staffel der YouTube-Serie «7 vs. Wild» an. Dort wurden sieben Teilnehmende gemeinsam für 14 Tage in der Wildnis ausgesetzt. Ein Teilnehmer erlebte bereits am zweiten Tag, wie stark sich der Entzug von Handy, PC und Co. auf ihn auswirkte. Es forderte ihn psychisch so stark heraus, dass er sogar einen Abbruch des Projektes in Erwägung zog. Mithilfe des guten Zuredens der Mitstreitenden hielt er aber weiter durch und erlebte, wie die Entzugssymptome, von Tag zu Tag nachliessen. Mich ermutigt es zu sehen welchen Einfluss die Einfühlsamkeit der anderen, auf diesen Teilnehmer hatte. Ich bin überzeugt: In der Gemeinschaft liegt die Stärke.
So habe ich mich gemeinsam mit einer Freundin entschieden, dieser Sucht den Kampf anzusagen. Wir erleben beide, dass wir allein immer wieder Ausreden suchen, weshalb es doch gar nicht so schlimm ist. Darum legen wir uns gegenseitig jeden Sonntag Rechenschaft über unsere Woche ab. Und es ist schmerzhaft, zugeben zu müssen, dass es wieder nicht so funktioniert hat, wie wir uns vorgenommen haben. Denn wie Paulus bereits sagte: «Alles ist mir erlaubt, aber nichts soll Macht über mich haben» (1. Korinther 6,12). Die gute Nachricht ist: «Durch Christus sind wir frei geworden, damit wir als Befreite leben» (Galater 5,1).
Bericht in der Februar-Ausgabe vom wort-wärch erschienen. | Text: Linda Steiner, Ressortleiterin EGW Jugend | Bilder: unsplash