Sie ist gelernte Sekundarlehrerin, arbeitet als Beraterin und lebt in Konolfingen. Was Mitmenschen bei Brigitte von Wartburg meistens als erstes wahrnehmen: Sie ist blind. Für sie persönlich ist jedoch das Wesentlichste, dass Jesus sie liebt.
Brigitte wurde mit einer hochgradigen Sehbehinderung geboren. Als Kind konnte sie noch Bücher lesen – unter starkem Kraftaufwand. «Ich war eine Leseratte und kämpfte mich durch die Sätze.» Das ist inzwischen vorbei, Brigitte bezeichnet sich heute als blind. Seit einigen Jahren kann sie auch keine Gesichter mehr erkennen. «Das macht mich traurig. Ich habe gerne in Gesichter geblickt».
Würdevolle Beschäftigung
Für Menschen mit Sehbehinderung ist die Berufswahl ein schwieriges Thema. Doch Brigitte schaffte es, die Ausbildung zur Sekundarlehrerin zu absolvieren und erwarb zwei Fachdiplome. Die Unterstützung an der Uni war mangelhaft, inzwischen seien jedoch grosse Fortschritte gemacht worden. Trotz besserem Support bleibt aber die Frage, was nach dem Abschluss kommt. Kaum jemand findet einen Job. Mangelndes Sehvermögen scheint ein unüberwindbares Handikap zu sein. Obwohl Brigitte nicht als Sekundarlehrerin arbeiten kann, profitiert sie doch von dem Gelernten. «Didaktik und Psychologie helfen mir in meinem Job.» Als Beraterin unterstützt sie Menschen mit einer Sehbehinderung.
«Menschen mit Beeinträchtigung haben ihre Begabungen und Neigungen – wie alle anderen auch.» Brigitte erzählt vom Wunsch einer jungen, blinden Frau, Tiefpflegerin zu werden. Mit der nötigen Unterstützung konnte sie den Beruf erlernen, doch eine Anstellung kriegte sie nicht. «Aber sie hatte Freude beim Lernen und ihren Traumberuf lernen zu können gab ihr Würde!» Jetzt gelte es, eine Aufgabe zu finden, um möglichst viel vom Gelernten umzusetzen.
«Für mich ist es oft eine Herausforderung, meine Würde zu bewahren.» Immer wieder wird Brigitte gesagt, dass sie gewisse Sachen nicht tun kann – dadurch sieht sie sich ihrer Würde bedroht. Als blinde Person gibt es viele Situationen, in denen sie sich wertlos vorkommen kann. Durch ihren Glauben hat sie aber eine Würde gefunden, die viel tiefer begründet liegt als in äusseren Einschränkungen.
Geschaffen im Ebenbild Gottes
«Durch meinen Glauben erfahre ich eine Würde! Ich weiss, dass ich geliebt bin.» Brigitte glaubt, dass ihre Würde nicht durch ihre Behinderung bestimmt ist. «Zu wissen, dass ich in Gottes Augen perfekt bin; das gibt mir Würde.» Sie betont, dass «das Grundmaterial ihrer selbst» gut ist. Dabei geht es um eine tiefere Ebene als ihre Sehkraft. Gott schuf Menschen in seinem Ebenbild und durch Jesus Christus gibt er uns eine Würde – unabhängig von Fähigkeit und Beeinträchtigung.
Schon öfters beteten Christen für Heilung und erwarteten, dass Brigitte sofort sehend würde. «Viele beteten, doch Heilung habe ich nie empfangen.» Auch wenn sie Heilung äusserst dankbar annehmen würde, sieht sie in der fehlenden Heilung nicht das zentrale Problem – sie ist nicht darauf fixiert, sondern weiss, dass sie auch so wertvoll ist.
Leben und Glauben als blinde Person
«Ich habe grosse Schwierigkeiten, Zugang zu einer Bibel zu erhalten», erzählt Brigitte. Natürlich hat sie eine Bibel in Blindenschrift – hierzu sind 31 Bände nötig, welche drei Obstharassen füllen. Es versteht sich von selbst, dass sie ihre Bibel nicht einfach unter den Arm nehmen kann, wenn sie den Hauskreis besucht. Für neue Technologien wie die App, welche verschiedene Bibelübersetzungen vorlesen kann, ist sie dankbar.
«Von anderen höre ich, wie sie in die Bibel hineinschreiben und Passagen anstreichen. Das kann ich nicht. Ich kann mit dem Bibeltext nicht so arbeiten.» Sie bedauert, dass sie weder von Bibelkommentaren noch von einem Bibelatlas profitieren kann.
Leer geht Brigitte aber nicht aus. «Mein Glaube wird am meisten genährt durch Musik. Auch Predigten helfen mir oder Gespräche mit anderen Gläubigen.»
Gemeinde: Damit alle ein Zuhause finden
Brigitte sieht keine Gestiken oder Körpersprache. Deshalb erkennt sie nicht so schnell, wie sie in einer Gruppe wahrgenommen wird. «Wenn ich aber nur gefragt werde, wie mir geholfen werden kann, komme ich mir wie ein Objekt des Mitleids vor, nicht aber als Teil der Gruppe.» Wenn Menschen mit ihr das Gespräch suchen, fühlt sie sich zugehörig.
Brigitte ist sich bewusst, dass alle Beziehungen aus zwei Seiten bestehen, die aufeinander zugehen müssen. Im EGW Konolfingen hat sie ein Zuhause gefunden. Das ist wertvoll und nicht selbstverständlich. Auch Pfarrerin Tabea Inäbnit schätzt das Unterwegssein mit ihr. «Es ist super, dass wir Brigitte haben», sagt Tabea. «Sie ist eine spannende und intelligente Frau und wir können viel von ihr und der Welt von Blinden lernen.» Brigitte sei gerne Zuhörerin und machte auch schon Besuchsdienste.
Tabea freut sich, dass es kaum nötig war, die Unterstützung für Brigitte zu organisieren. «Es funktioniert einfach. Irgendjemand hilft immer gerne.» Trotzdem erlebt Brigitte auch schwierige Situationen. Auf konkretes Anfragen gibt sie Einblick – wohl wissend, dass es unmöglich ist, das Gemeindeleben vollständig ihrer Situation anzupassen. Wenn zum Beispiel kommentarlos ein Bild gezeigt wird und dann Gelächter erschallt, fühlt sie sich ausgeschlossen. Eine kleine Erläuterung von einem Sitznachbarn hilft da sehr. Wiederholt betont Brigitte, dass es keine Ideallösung braucht, um blinde Menschen zu integrieren. «50 Prozent reichen völlig!» Oft reicht es, Geschehnisse kurz zu verbalisieren. «Wenn aber nur ich nicht verstehe, was gerade geschieht, fühle ich mich einsam.»
Bericht in der Juni-Ausgabe vom wort-wärch erschienen. | Text: Markus Richner-Mai, Redaktion | Bilder: zVg