Psychiatrie, Jugendliche und Vertrauen

Mittwoch, 28. August 2024

Die zunehmenden psychischen Probleme von Jugendlichen machen Alois Vogel betroffen. Als Ausbildner in der Psychiatrie begegnet er ihnen täglich. Dabei wurden ihm ein Verständnis der psychischen Krankheiten, vertrauensvolle Beziehungen mit Betroffenen und auch das Ergehen von Jugendlichen wichtig.

Alois Vogel (61) ist verheiratet mit Veronika, hat drei erwachsene Kinder und lebt in Entlebuch. Als Leiter der Ausbildung in der Luzerner Psychiatrie beschäftigt er sich mit psychischen Erkrankungen und engagiert sich daneben in der Freikirche Schüpfheim (gehört zum EGW).

Aufgewachsen ist Alois in einer katholischen Bauernfamilie im Entlebuch. Die Kantonsschule brach er ab und machte stattdessen die Berufslehre zum Elektromonteur. Nach ein paar Jahren auf diesem Beruf folgte die Ausbildung zum Psychiatriepfleger, welche er 1991 abschloss. 1999 wechselte er in den Ausbildungsbereich, schloss sein Studium zum Erwachsenenbildner mit einem Master ab. Im Laufe der Jahre folgten verschiedene Weiterbildungen für den Umgang mit aggressiven und gewaltbereiten Patienten. «In diesem Bereich habe ich mich spezialisiert.»

 

Das grosse Unverständnis
«Wenn ich sage, dass ich in der Psychiatrie arbeite, erwidern viele, dass sei sicher schwierig.» In solchen Gesprächen merkt Alois, dass die Vorstellung von Psychiatrie oft nicht der Realität entspricht. Das Bild von Zwangsverwahrung und Verabreichung von Psychopharmaka wider Willen der Betroffenen, entspricht nicht dem Alltag. «Zwang geschieht nur im Notfall und unter ganz engen Bedingungen.» In den vergangenen dreissig Jahren sei die Psychiatrie viel menschenwürdiger geworden.

«Grundsätzlich ist mir eine Entstigmatisierung von psychischen Krankheiten wichtig.» Alois wünscht sich, dass man offener darüber redet und Betroffene nicht ausschliesst oder als Unmündige behandelt. «Weil die Bevölkerung mit gewissen Themen Mühe hat, werden die Betroffenen abgewertet. Das belastet sie zusätzlich und wirkt sich negativ auf ihre Gesundheit aus.» Leider sei auch heute noch das Vorurteil anzutreffen, psychisch Kranke sollten sich mehr anstrengen und sich zusammennehmen.

 

Viele Jugendliche leiden
«In der Ausbildung arbeite ich mehrheitlich mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen», erzählt Alois. «Deshalb wuchs mein Anliegen für sie.» Wenn man Jugendliche fragt, wie es ihnen geht, antworten diese meist einmal mit «gut». Bei näherem Nachfragen kommt ein Bild zum Vorschein, welches Alois durch eine Studie belegt sieht. Jeweils zwei Drittel der Jugendlichen haben Probleme mit Konzentration, Schlaf und Essen/Gewicht. Das ist erschreckend.

«Junge Menschen sind bekanntermassen psychisch stärker belastet als andere Altersgruppen.» Besonders erwähnt Alois junge Frauen im Alter von 15 bis 19 Jahren – doch auch junge Männer leiden oft an psychischen Problemen. «Gemäss meiner Erfahrung, sagen Jugendliche manchmal nicht direkt die Wahrheit, um ihr Gesicht nicht zu verlieren. Für sie ist es schwierig, als nicht perfekte Menschen dazustehen.» So ist die Kommunikation mit der Generation Z (ca. 1996 bis 2010) herausfordernd; umso wichtiger ist es, in die Beziehung mit ihnen zu investieren.

 

Das Problem mit TikTok & Co
«Von der These, dass Jugendliche heute weniger belastbar sind als frühere, bin ich nicht überzeugt.» Vielmehr glaubt Alois, dass diese mehr belastet sind. «Eine grosse Belastung für Jugendliche sind die sozialen Medien. Die konsumierten Inhalte führen oft zu Minderwertigkeitsgefühlen.»

«Bei Jugendlichen haben Angststörungen stark zugenommen.» Dazu gehören unter anderem Panikattacken und Angst vor Begegnungen mit Menschen. «Gerade junge Frauen orientieren sich stark an Gleichaltrigen. Junge Männer haben diese Orientierung auch, aber etwas weniger ausgeprägt. Junge Frauen machen ihren Wert stark von der Gruppe abhängig.» Durch die beschränkten Kontakte während der Pandemie habe die Zeit in den sozialen Medien zugenommen. Alois ist froh, dass jetzt endlich über das mögliche Suchtpotential und die Folgeschäden 
von beispielsweise TikTok gesprochen wird.

 

Anteilnahme ist zentral wichtig
«Menschen sind Beziehungswesen. Alles steht und fällt mit Beziehungen.» Deshalb ist Alois wichtig, Beziehungen zu stärken und Leben zu teilen. «Wir brauchen für unser Wohlbefinden echte Anteilnahme. Wir brauchen Menschen in unserem Umfeld, denen wir vertrauen und denen gegenüber wir uns öffnen können.»

«Es fällt uns vielleicht schwer, Menschen direkt auf psychische Probleme anzusprechen.» Betroffene seien aber meist froh, wenn sie offen gefragt werden und die heiklen Themen nicht «umschifft» werden. Wenn Betroffene nicht darüber sprechen wollen, gilt es dies zu akzeptieren.

 

Authentisch glauben und leben
«Mir ist wichtig, dass mein Leben und mein persönlicher Glaube zusammenpassen.» Grundsätzlich hat Alois kein Problem damit, von seinem Glauben zu sprechen, wenn er von sich selbst erzählt. «Ich kann meinen Glauben leben und von meinen Erfahrungen erzählen, auch am Arbeitsplatz.»

Alois merkt, wie beziehungsstärkend es ist, wenn er andere an seinem Leben anteilnehmen lässt. Dazu gehören Glaube, persönliche Überzeugungen, aber auch Probleme und Herausforderungen.

 

Erschienen: wort+wärch August-September | Bericht: Markus Richner-Mai | Bilder: zVg, Pixabay